Ich wurde im Frühjahr zusammen mit meinen vier Geschwistern im Unterholz am Rande eines Ackers geboren, der außerhalb einer Stadt lag. Mit der Zeit brachte uns unsere Mutter in eine kleine Höhle im Wald, wo es trocken war. Sie war oft lange weg, um auf Futtersuche zu geben. Die Zeit nutzten wir zum Spielen und zum Schlafen, um darüber zu vergessen, welchen Hunger wir hatten.
Eines Tages, als wir einmal außerhalb der Höhle uns aufhielten, humpelte ein alter großer Hund mit nur noch einem Auge und stark ausgeprägten Narben am Hals vorbei. Mit unseren knapp sechs Wochen liefen wir voller Neugierde zu ihm. Er blieb stehen und musterte uns. Als er sprach war er sehr warmherzig und sanftmütig aber auch warnend. Er erzählte uns, dass er einst jahrelang auf einem Hof gehalten wurde. An einer kurzen schweren engen Kette, die ihm in jungen Jahren angelegt wurde, aber trotz seines Wachstums nicht vergrößert wurde, so dass sie sich mit zunehmendem Alter in seinen Hals eingrub. Daher rührten auch seine Narben, von Wundmalen und Entzündungen. Als er 10 wurde, heute ist er 12 Jahre alt, kam ein junger Hund auf den Hof und nahm seine Stellung ein. Er selber wurde vom Hof gejagt und als er nicht gehen wollte, nahm der Bauer seine Schrotflinte und schoss auf ihn. Nicht genug der Schmerzen durch die Wunden am Hals, die nach Abnahme der Kette aufbrachen, so spürte er jede einzelne Schrotkugel die sich in seinen Hinterlauf bohrte. Trotz seiner Verletzungen und Schmerzen begann er zu rennen, soweit man es noch rennen nennen konnte und fand weit entfernt an einem Bachlauf einen Unterschlupf unter einer kleinen Hütte. Es war seltsam für ihn, verjagt und verletzt worden, obgleich er doch nichts falsch gemacht hatte. Sehnsuchtsvoll schaute er hinaus in die Abenddämmerung und langsam an wurde es dunkel und er schlief vor Erschöpfung ein. Mit den ersten Sonnenstrahlen erwachte er, auch weil er das Klappern eines Fahrrades hörte. Neugierig, aber auch mit Angst schaute er hinaus und sah, wie jemand ein Fahrrad an einen Baum abstellte und zum Eingang der Hütte ging, unter der er selbst lag. Die Schritte hielten plötzlich inne und dann sah er den Kopf eines alten Mannes vor sich. Weisse Haare und Bart, die die tiefen Furchen in seinem Gesicht verbargen. Der Mann schaute traurig auf ihn, besonders als er die blutenden Eintrittswunden der Schrottkugeln sah. Er stand dann auf und in die Hütte. Man hörte ein Rumpeln und Klappern und wenige Minuten später war er wieder zu sehen. Er legte eine Decke auf die Wiese, stellte da flache Schüsseln drauf und kam zum Hund zurück. Der alte Mann deutete ihm an, dass er doch herauskommen könne und sprach dabei sehr freundlich. Trotz seiner Furcht durch das Erlebte kroch er hervor und humpelte stark. Der alte Mann brachte ihn zur Decke, auf der eine Schüssel mit frischem Wasser, einem zerteilten Fisch und jede Menge Tücher lagen. War das echt für ihn? Er hielt inne, da er es nicht glauben konnte, dass das für ihn sein könne, aber es war so. Der alte Mann umsorgte ihn so gut er konnte und kümmerte sich auch um seine Wunden. Mit der Zeit baute sich Vertrauen auf und er durfte hier leben und einfach Hund sein. Abends saßen er und der Alte am Bach und schauten zusammen in den Sonnenuntergang. Er erlebte ein Leben, welches er so nicht kannte und was sich toll anfühlte. Nur eines Tages kam der alte Mann nicht mehr, nie mehr und er musste gehen, da das Haus abgerissen und er erneut verjagt wurde. Dies war vor wenigen Tagen und heute erzählte er uns seine Geschichte.
Er wusste nicht, wohin der Weg ihn noch führen wird, aber es wird noch ein hartes und beschwerliches Leben ein und er sich keine große Hoffnungen machen durfte, dass er noch viel älter wird.
Mit den mahnenden Worten, dass sie sich vor Menschen hüten sollen, da es nicht alle gut mit ihnen meinen verließ er uns humpelnd und wir schauten ihm nach, bis er nicht mehr zu sehen war.
Wenig später kam unsere Mutter zurück und die Zeit ging dahin. Wir wurden größer und immer forscher was das Erkunden der Umgebung anging. Dabei trafen wir auch hier und da auf Artgenossen und spielten und gingen gemeinsam auf Entdeckung und Futtersuche. Dabei stießen wir in der Nähe eines Dorfes auch auf Stellen, wo uns die Bewohner Futter und frisches Wasser immer hinstellten. Scheinbar hatte der Alte recht und es gibt doch auch gute Menschen. Die Wochen zogen sich so dahin.
An einem frostigen Morgen im Herbst fielen die ersten Schneeflocken, aber unsere Mutter war nicht da. Wir dachten uns nichts dabei und gingen unseren Erkundungen und der Futtersuche nach. Ich kam an einem großen Gebüsch vorbei als ich Pfoten reglos auf dem Boden liegen sah. Ging dann weiter und aus den Pfoten wurden Beine und je weiter ich um das Gebüsch herum ging, desto mehr sah ich. Was ich sah, zerbrach alles. Dort lag unsere Mutter auf der Seite in einer großen Blutlache und daneben ein blutverschmierter Spaten. Ich ging zu ihr und versuchte sie zu bewegen, aber kurz danach tauchten zwei Männer auf, die ein widerliches Grinsen im Gesicht hatten und mit einer Mischung auf Angst, Hass und Trauer rannte ich, ich rannte und rannte und stolperte dabei manchmal über Äste, aber ich konnte nicht aufhören zu rennen. Als ich zu erschöpft zum Weiterrennen war blieb ich stehen und blickte mich um. Ich war in der Nähe des Dorfes, wo Menschen lebten, die uns Futter und Wasser gaben. Aber ich konnte nicht an Nahrung denken, ich hatte immer noch das Bild vor Augen von unserer Mutter und dem vielen Blut. Hier konnte ich nun nicht bleiben, so dass ich mich entschloss zu meinen Geschwistern zu gehen.
Als ich an unserer Behausung ankam sah ich niemanden, aber dafür viele große Fußabdrücke und ein Gegenstand. Eine gebrochene Stange aus Holz mit einer Metallschlaufe. An der Metallschlaufe hingen Haare und ich musste feststellen, dass die Haare einem meiner Geschwister gehörten. Sind alle weg? Leben sie noch? Wo sind Sie? Ich weiss es nicht und ich versuchte der Spur nachzugehen. Bei der Fährtensuche war ich so konzentriert, dass ich bei der Überquerung einer Strasse den heranrasenden SUV nicht wahrnahm. Ich spürte einen heftigen Schlag gegen meinen rechten Hinterlauf und wurde mehrere Meter durch die Luft geschleudert. Ich landete in einem Graben und es wurde dunkel um mich herum.
Nachdem ich wach wurde befand ich mich in einem Käfig, kaum 1x1 m groß und mit Fäkalien auf dem Boden. Ich blickte mich um und am liebsten hätte ich meine Nase zugebunden, da überall nur Fäkalien lagen und reihenweise solche kleinen Käfige, wie meiner, mit Artgenossen. Ich wollte aufstehen, aber es war nur schwer möglich, da mein Hinterlauf steif war.
Tag ein, Tag aus die gleiche Prozedur. Zwei Mal am Tag am ein Mann oder eine Frau und füllte unsere kleinen Näpfe auf. Das Futter schmeckte nicht, aber keiner will verhungern.
Es ist hier immer viel los und lautes Gebelle und Gewinnsel, außer wenn die Männer mit ihren Kitteln kommen breitet sich eine gespenstische Ruhe aus und man hört zwar hier und da ein Aufbellen und angstvolles Fiepen, aber es liegt Angst in der Luft. Ich habe von Zwingernachbarn gehört, dass diejenigen, die abholt werden, nie wieder gesehen werden. Bekommen sie die Freiheit? Keiner von uns kennt die Antwort.
Ein paar Tage später kommen wieder die Männer mit den Kitteln und bleiben vor meiner Tür stehen. Ich mach mich ganz klein und kauere mich in eine Ecke in der Hoffnung, dass sie sich mich nicht sehen, da ich keine Überraschungen mag. Es bringt nichts, sie zeigen auf mich, öffnen die Türe und packen mich nicht liebevoll, tragen mich hinaus in den Gang und sperren mich in einen mobilen Käfig. Voller Überraschung erkenne ich den alten Hund wieder, der auf mich und meine Geschwister traf. Unsere Freude über das Wiedersehen war nur von kurzer Dauer, da wir immer mehr Artgenossen in dem Käfig wurden.
Nach einigen Minuten wurden wir in einem kleinen Raum geschoben. Dann schloss man die Tür. Das Licht wurde ausgeschaltet und der Wagen fing an zu vibrieren, da wir alle anfingen zu zittern. Panik machte sich breit. Dann hörte man ein Klacken und ein leises Zischen. Kaum vernahmen wir das Geräusch, überkam mich die Müdigkeit und es wurde schwarz um mich…
Als ich wach wurde stand ich auf einer grünen Wiese mit Bäumen, einem Bach und viele spielende und sich des „Lebens“ erfreuende Artgenossen um mich herum. Schmetterlinge, Bienen und Vögel flogen um her und soweit die Augen reichten war es ein Ort, der Frieden ausstrahlte… und vor allem eines: Freiheit!
Namenlos ging er mit nicht mal einem Jahr über die Regenbogenbrücke, ohne auch nur die Chance auf ein wunderschönes Leben in einer liebevollen Familie zu erhalten oder einfach leben zu dürfen…“
Gewidmet den Straßenhunden von Rumänien und anderen Ländern sowie auch allen anderen Hunden, die abgeschoben und in Tötungsstationen ermordet werden!
Verfasst von Tom Pedall, Wuppertal, den 18.09.2019
P.S. Dank vieler kleinerer und größerer privater Shelter/Tierheime, die wirklich auch seriös arbeiten und wo das Tierwohl im Vordergrund steht, gelangt zumindest ein kleiner Teil der „Straßenhunde“ in sichere Obhut. All jenen möchte ich Danke sagen, dass es Euch gibt, die kleine Archen der Hoffnung und Sicherheit betreiben und unterstützen, so dass eine solche Geschichte, wie die von mir verfasste, auch das ein oder andere Mal glücklich endet. Ich selber werde regelmäßig in Rumänien sein und die Tierschützer und die Hunde besuchen.